Der Padjelanta Nationalpark grenzt unmittelbar an den Sarek und ist sogar noch ein wenig größer. Und dennoch steht er im Schatten des berühmten Nachbarn. Der Park weist nicht die Superlativen auf wie der Sarek. Die Berge sind niedriger, die Gletscher weniger, aber viele halten den Padjelanta sogar für den schönsten Nationalpark Schwedens, gerade weil er nicht so schroff und abweisend ist. Für viele findet er aber auch die ideale Balance zwischen Wildnis und vorhandener Infrastruktur. Denn der Padjelantaleden zieht sich durch den Park: Ein gut markierter Weitwanderweg, mit Brücken über die größeren Bäche und Übernachtungshütten.
Der Padjelantaleden ist das Ziel
Der Padjelantaleden ist deswegen auch mein Ziel. Doch so einfach ist das nicht mit wenig Zeit und vor allem auch zu dieser Zeit (Anfang September). Von Ritsem aus ist der schnellste Zugang zu Fuß: Eine Tagesetappe. Allerdings ist man auf eine Bootsüberfahrt angewiesen und meine Erfahrungen in der Nebensaison sind, vorsichtig ausgedrückt, durchwachsen, was die Verlässlichkeit solcher Angebote angeht. Außerdem verliere ich schon 2 Tage, ohne vom Park überhaupt etwas gesehen zu haben. Der schönste Abschnitt des Padjelantaleden soll auch erst später folgen, einige Tagesetappen weiter. Aus der Gegenrichtung von Kvikkjokk sind es sogar mindestens 4 Tagesetappen bis in den Nationalpark. Verpflegung in den Hütten ist nicht nur sehr teuer, sie ist um diese Jahreszeit vor allem auch nicht garantiert. In meinen vorhergehenden Blogbeiträgen habe ich ja bereits geschrieben, dass nun die größten Herausforderungen organisatorischer Natur auf mich warten.
Helikopter – übliches Verkehrsmittel
Im Naturum Laponia hat man mich auf eine andere Idee gebracht. Helikopter! Nicht mein bevorzugtes Verkehrsmittel. Helikopter und Naturverbundenheit, das ist für mich im Zusammenhang mit Freizeitgestaltung doch ein ziemlicher Widerspruch. Tatsächlich ist auch hier die Jahreszeit problematisch. Die Touristensaison ist vorbei, und langsam beginnt die Zeit, in der die Sami ihre Rentierherden für den Winter zusammentreiben. Dafür sind dann alle Helikopter im Einsatz. Aber um den Padjelanta wenigstens in Ansätzen erleben und beschreiben zu können, sehe ich keine andere Möglichkeit! Ich wähle eine der Nummern, die auf den vielen Hinweistafeln am Straßenrand zu finden sind. Der Anbieter ist immer der gleiche, aber es gibt verschiedene Standorte und Telefonnummern. Man wird mir schon weiterhelfen, hoffe ich.
Ich habe Glück. Für den nächsten Tag bestünde die Möglichkeit in den Padjelanta Nationalpark zu fliegen. 750€ soll der Spaß kosten. Pro Flug! Man könnte mich am nächsten Tag an anderer Stelle abholen. Mir bleibt keine andere Wahl, obwohl die Zeit am späten Vormittag alles andere als günstig ist. Ich willige ein, und bitte, wenn es irgendwie möglich ist, einen früheren Flug möglich zu machen. Man will es versuchen. Nun heißt es den Tag irgendwie zu nutzen und zur Helikopterstation zu fahren. 2 Stunden später klingelt mein Smartphone. Ich kann eine Stunde früher fliegen und mir den Flug mit 3 anderen Touristen teilen. Teilen heißt in dem Fall, 50% der Kosten entfallen auf mich. Aber ich bin froh, überhaupt günstiger fliegen zu können und auch noch eine Stunde gewonnen zu haben.
Über und unter den Wolken
Am nächsten Morgen stehe ich bei Kvikkjokk im Office von Fiskflyg. Während ich zahle kann ich den Mitarbeiter davon überzeugen, dass der halbe Preis des Fluges mich wohl für den Sitz neben dem Piloten qualifiziert. Vielleicht gelingen mir ein paar schöne Fotos. Bald erscheinen auch die anderen Drei, erweisen sich aber als ziemlich zugeknöpft. Ihre Rucksäcke sind größer, als meiner und sie machen einen erfahrenen Eindruck. Kurz darauf kommt der Heli und es dauert nicht lange, bis wir in der Luft sind. Der Pilot ist wohl froh, ein wenig mit mir über die Mikrofone plaudern zu können, aber ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, dass meine ersten Worte von der Kommunikationsanlage immer verschluckt werden. Die Landschaft ist beeindruckend von hier oben! Der Pilot zeigt mir immer wieder, wo der Weg langgeht, gibt mir ein Update über die Wettervorhersage (durchwachsen) und erklärt mir, dass ab nächster Woche wegen dem Rentiertrieb kein Helikopter mehr für Touristen zur Verfügung steht. Puh, mal wieder gerade noch so!
Überhaupt ist es schon eine seltene Ausnahme, dass im Padjelanta Nationalpark Hubschrauber landen dürfen. Das hängt mit den Sonderrechten der Sami zusammen, die so auch für touristische Zwecke genutzt werden. Auf dem Flug wechselt das Wetter beständig. Mal warten dramatische Lichtstimmungen auf uns, wenn die Sonne durchbricht, dann klatscht der Regen wieder an die Frontscheibe des Helis. Die Bergspitzen wurden in der letzten Nacht mit dem ersten Schnee eingepudert. Herrlich! Aber ich bin überrascht, als dann kurz vor dem Ziel auch der Pass über den die Wanderung geht, weiß ist. Unser Ziel ist die kleine Samensiedlung Staloluokta. Von dort soll es in zwei Tagesetappen über Duottar nach Darreluopal gehen. Dort werde ich übermorgen wieder abgeholt. 29km, die eigentlich keine allzu große Herausforderung darstellen sollten. Mein Zelt habe ich dabei und geeignete Plätze dafür soll es genug geben. Man wird sehen, mit Schnee habe ich heute noch nicht gerechnet.
Los geht’s
Kaum hat uns der Helikopter abgesetzt, ziehen die drei Anderen los. So wie es aussieht, schlagen sie die gleiche Richtung ein. Ich überlege nicht lange, sondern folge ihnen erst einmal, aber schon bald kommt mir das komisch vor. Die Wegspuren verlieren sich zunehmend und wir entfernen uns immer mehr vom Bach, den der Padjelantaleden überqueren sollte. Als sie kurz darauf anhalten, frage ich, ob sie sicher sind, ob dies der richtige Weg ist. Sie wollen gar nicht auf den Padjelantaleden, sondern quer durch den Park hinüber ins Paradentalen des Sarek. Gut, dass wir darüber gesprochen haben!
Es ist nicht viel passiert, ich bin gleich wieder bei der Kotenkirche, zu der ich ja sowieso hin wollte. Der Umweg war also minimal. Trotzdem studiere ich nun erst einmal die Karte, bevor ich kurz darauf die Brücke über den Bach nehme. Viele dieser Brücken werden im Herbst abgebaut und jedes Frühjahr wieder aufgebaut. Noch so ein Grund, warum man nicht unvorbereitet in den Nationalpark sollte. Im Winter, wenn alles zugefroren ist, ist es dann wieder kein Problem, aber der später Herbst und das Frühjahr sind für unerfahrene Touristen nicht die richtige Jahreszeit hier.
Es wird ungemütlich
Die erste halbe Stunde habe ich noch Glück mit der Sonne, aber dann zieht es immer mehr zu. Schade, denn die Landschaft zieht mich in ihren Bann! Aber so komme ich immerhin vorwärts, ohne dass ich das Gefühl habe, alle paar Meter ein gutes Motiv zu verpassen. Nach einigen Stunden laufe ich fast auf ein Pärchen auf, das aber in die Pampa abbiegt, bevor ich sie erreiche. Ich sehe, wie sie ein Zelt aufbauen. Ich möchte jedoch noch ein paar Kilometer machen, obwohl es zunehmend ungemütlich wird. Schneeregen setzt ein, es weht ein eiskalter Wind. Zwei Wanderer kommen mir entgegen. Wenigstens bläst ihnen der Wind den Schneeregen nicht ins Gesicht. Dennoch möchte ich heute wenigstens Duottar erreichen, um morgen nicht unnötig in Druck zu geraten.
Und dann ist Duottar, das nicht mehr als eine kleine Ansammlung von Hütten darstellt, in denen Wanderer übernachten können, nur noch wenige Meter entfernt. Davor eine Bachfurt, mit der ich so überhaupt nicht gerechnet habe! Heute auf dieser Seite übernachten und morgen bei noch eisigeren Temperaturen da durch? Schuhe aus und Barfuß? Schlagartig wird mir klar, dass ich diese Tour unterschätzt habe. Aber da war ich nicht alleine, wie ich bald erfahren sollte.
Ohne Schuhe hindurch erscheint mir bei der breiten Furt ohne Stöcke als viel zu gefährlich. Der Grund besteht aus glitschigen Steinen und die Füße werden wohl schnell jegliches Gefühl verlieren. Sollte ich bei den Bedingungen im Bach landen, habe ich ein ernstes Problem! Wechselschuhe habe ich nicht dabei. Ich nehme die Einlagen heraus, ziehe die Socken aus und Krempel meine Hose hoch. Dann wate ich so schnell es geht durch den nur 30cm tiefen Bach. Zwei Mal muss ich ihn queren. Die zweite Furt ist 100m breit. Als es geschafft ist, sind die Füße taub. Ich werde in den sauren Apfel beißen und heute in der Hütte übernachten. So kann ich die Schuhe vielleicht ein bisschen trocknen und mich aufwärmen.
Hüttentour im Padjelanta Nationalpark
Da ich unmittelbar vor den Hütten stehe, lasse ich die Schuhe erst einmal so an. Die erste Hütte ist zu, die zweite auch. Langsam wird mir mulmig! Aber dann finde ich doch noch eine offene Hütte. Es ist die Winterhütte und die einzige, die noch offen ist. Dankbar trete ich ein, triefend und ohne Gefühl in den Füßen. Es wird schon dunkel draußen und in der Hütte brennt kein Licht. Aber ein junges Pärchen aus Belgien ist schon da und ein Schwede, der als Speedwanderer unterwegs ist. Heute hat er wegen der Bachquerung nur eine 50km Etappe hinter sich. Alle sind müde, hatten sich schon hingelegt, aber man macht mir Licht und Platz. Auch sie brauchen den Ofen, um ihre Schuhe zu trocknen. Alle drei sind den Padjelantaleden von Ritsem aus gelaufen und wie ich von dieser Furt überrascht worden.
Während ich versuche meinen Füßen wieder Leben einzuhauchen, kommt der Hüttenwirt. Umgerechnet 50€ kostet die einfache Übernachtung hier. In Anbetracht der Umstände ist mir das egal. Ich esse nur kurz etwas und bald liegen wir in unseren Schlafsäcken in den Betten. Das heißt, im Schlafsack ist es nicht auszuhalten. Wir haben natürlich eingeheizt, um die Sachen trocken zu bekommen und bei drei Stockbetten muss ich oben schlafen wo sich die warme, feuchte Luft staut.
Wir waren wohl alle schon eingeschlafen, als es draußen laut wird. Es ist schon Nacht und nun kommt noch ein schweizer Pärchen. Schnell stellt sich heraus, dass es die sind, die ich überholt habe, als sie ihr Zelt aufgeschlagen haben. Die Wetterbedingungen wurden ihnen zu unheimlich und so haben sie sich in der Nacht noch hierher durchgeschlagen. Es dauert eine Weile, bis die nun volle Hütte so umverteilt wurde, dass alle Platz haben. Inzwischen kann auch ich meine Schuhe in der Nähe des Ofens trocknen. So gesehen eine gute Unterbrechung. Aber irgendwann ist alles geregelt und so schlafen wir nun ohne Störung bis zum frühen Morgen.
Padjelanta Nationalpark international
Draußen ist alles weiß. Und es ist bitterkalt. Keiner scheint es übermäßig eilig zu haben und während wir in Ruhe essen und unser Zeug packen, kommt eine nette Unterhaltung auf. Das belgische Pärchen und ich fachsimpeln über den Padjelanta und die anderen schwedischen Nationalparks. Welcher ist für uns der schönste, welcher der älteste und welcher der größte. Welchen hat wer schon besucht? Auch die Schweizer können sich immer wieder ins Gespräch einschalten, so dass der einzige Schwede unter uns irgendwann erstaunt resümiert: Es braucht eine volle Hütte mit lauter Nichtschweden, damit er als Schwede einiges über „seine“ Nationalparks lernen kann.
Dennoch ist er der erste, der aufbricht. Die 50km gestern waren zu wenig und er muss wohl ein bisschen was aufholen. Ich breche mit den Belgiern zusammen auf, während die Schweizer noch den Hüttenwirt suchen, um ihre Übernachtung zu begleichen. Bald schon folgt noch einmal eine kleine Furt und ich bin froh, dass die Belgier mir mit ihren Wanderstöcken aushelfen. Sie haben für die Bachquerungen Crocs dabei. Eine clevere Idee, die ich in Zukunft nachahmen werde. Warum sie gestern dennoch nasse Schuhe hatten, bleibt mir im Nachhinein aber ein Rätsel.
Der Hüttenwirt von Darreluopal
Heute bleibt das Wetter trocken. Es ist kalt und der Wind bläst, aber das ist kein Problem. Ein Problem vermute ich eher bei den beiden Schweizern, die das erste mal auf einer nicht organisierten Tour unterwegs sind. Ich bin langsam unterwegs, weil ich immer wieder zum Fotografieren anhalte. Weil ich auf die beiden warten will, werde ich noch langsamer. Es sind schon Stunden vergangen, als mir ein Same entgegen kommt. Er ist der Hüttenwirt der nächsten Station, von der ich auch mit dem Heli abgeholt werden soll. Für den Hüttenwirt ist das eine gute Nachricht. Er kann mit seinem Gepäck umkehren, das er nach Staloluokta für den Transport nach Kvikkjokk bringen wollte. Es sind die letzten Dinge, die raus müssen, bevor die Station für den Winter dicht macht, dann wird nur noch der Winterraum geöffnet sein.
Mir wäre lieber gewesen, der Hüttenwirt wäre nach Staloluokta gelaufen, denn ich hatte ihn schon gebeten, nach den beiden Schweizern zu schauen. Aber dafür unterhalte ich mich so gut mit ihm, dass die Zeit wie im Nu verstreicht. Er spricht sieben Sprachen und ich kann ganz gut mit ihm Deutsch reden. Die langen einsamen Nächte hier draußen, weit entfernt von seiner Familie nutzt er zum Lernen. Was für ein Sprachtalent!
Die Anspannung fällt ab
Während er sich wieder auf den Weg zurück macht, folge ich ihm viel langsamer, bis endlich weit hinter mir das schweizer Pärchen sichtbar wird. Ich bin erleichtert. Das Ziel ist nicht mehr weit und ich stehe oft Mal eine Viertelstunde, um auf die wenigen Sonnenstrahlen für ein besseres Licht für meine Fotos zu warten. Langsam entspanne ich mich, ich werde den Treffpunkt erreichen und die Sicht wird ausreichen, damit der Helikopter fliegen kann. An der Hütte setze ich mich zu den Schweizern, nur einmal müssen wir einen kurzen Regenschauer überstehen.
Als wir über meinen Rückflug reden, kommt heraus, dass sie den Flug schon von daheim aus gebucht hatten. Sie haben umgerechnet 800€ bezahlt! Und sie sind nur eine Stunde vor mir geflogen! Das heißt, der Helikopter hätte mich auch schon eine Stunde früher mitnehmen können, allerdings wäre uns da wohl schnell bewusst geworden, dass Jemand zu viel bezahlt hätte. Am Nachmittag liest mich dann der Helikopter auf. Entspannt und glücklich unterhalte ich mich mit dem Piloten. Zurück in Kvikkjokk muss ich noch den Rückflug bezahlen. Man verlangt 375€, den selben Betrag, den ich auf dem Hinflug gezahlt hatte, als wir uns die Kosten wohl geteilt hatten. Langsam dämmert mir, dass die Preise reine Verhandlungssache sind. Mir ist das Recht, habe ich doch nur die Hälfte von dem ursprünglich vereinbarten Preis bezahlt.
Gerne wieder: Padjelanta Nationalpark
Während ich meine Ausrüstung im Auto verstaue, bin ich immer noch ganz voll mit Endorphinen. Was für eine Tour! Der Padjelanta Nationalpark: Welch ein Abenteuer, wo ich gar keines erwartet hatte und was für inspirierende Bekanntschaften, die ich machen durfte. Ich möchte unbedingt wieder kommen! Und dann werde ich hoffentlich mehr Zeit mitbringen …