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Völlig erschöpft liege ich auf den Felsen einer kleinen Insel vor Brommö. Der Vänernsee hat mir die Rückfahrt vom Djurö Nationalpark nicht leicht gemacht. Wie viel Glück notwendig war, um die Überfahrt zu überleben, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber der Reihe nach…

Abgelegener Nationalpark Djurö

Alles fing schon mit der Planung zu Hause an. Djurö, ein Inselarchipel mitten in Schwedens größtem See dem Vänern. Elf mal so groß wie der Bodensee, berüchtigt für seine schnell wechselnden Bedingungen und schwierigen Gewässer. Es existiert keine offizielle Bootsverbindung in den Nationalpark und das einzige Ausflugsboot macht nur für ein paar Stunden an der Hauptinsel fest. Keine Option, wenn man den Park erkunden will und die Morgen- und Abendstunden wegen dem guten Foto-Licht braucht. Mir war schnell klar, diese Tour würde ein Knackpunkt meines Projektes werden.

Baden im Sonnenuntergang

Am Tag zuvor hatte ich den kleinen Hafen Laxhall auf Torsö erkundet. Parken und Boot einsetzen sind hier kein Problem und näher kommt man nicht an den Nationalpark Djurö heran, wenn man den Weg von Osten wählt. Für die Nacht hatte ich einen wunderschönen Strand auf Torsö gefunden, wenngleich die Zufahrt durch eine Höhenbegrenzung erschwert wurde. Da ich mein Kajak auf der rechten Seite des Daches hatte, musste ich rückwärts durch die Passierstelle fahren. Dafür genoß ich einen wunderbaren Abend und badete während die Sonne unterging.

Einsamer Sandstrand auf Torsö am Vänernsee
Einsamer Sandstrand auf Torsö am Vänernsee

Die Bedingungen werden schlechter

Um 6 Uhr lade ich mein Kajak vom Dach. Es ist die Anlegestelle der Fähre, die Einheimische und Fußgänger von Torsö nach Brommö bringt. Ich stelle das Auto auf den Parkplatz und wenig später mache ich mich auf den Weg. Die Wasserstraße zwischen den Inseln ist geschützt aber kaum bin ich um die Landzunge herum, weht mir ein ganz anderer Wind entgegen und die Wellen sind schon viel höher. Während ich mich nahe am Ufer halte, werden Wind und Wellen immer mehr.

Ich lande in einer Bucht mit Sandstrand an und checke die Lage mit meiner App. 13 Knoten mittlere Windgeschwindigkeit, Böen von 25 Knoten, das entspricht 46 km/h. Gestern waren die Prognosen noch besser aber nun soll das den ganzen Tag so bleiben. Ich bin mir unsicher. 16° Wassertemperatur und kein Bootsverkehr, der mich in Seenot entdecken würde. Zumal ich nicht einmal ein PLB (Signalgerät für die Seenotrettung) dabei habe. Es war nicht mehr rechtzeitig geliefert worden und liegt nun daheim.

Einsam auf dem Vänern-See

Lange ringe ich mit einer Entscheidung und vertage sie erst einmal auf den Zeitpunkt, wenn ich das nahe Ufer verlassen muss. Die Prognosen auf der App wechseln ständig, sowohl was Windgeschwindigkeiten, als auch was die Richtung angeht. Dafür soll es morgen besser werden, wenn ich vom Djurö Nationalpark zurück nach Brommö will.

In einer windgeschützten Bucht liegt ein Kajak auf dem Kiesstrand der Insel Brommö
Abwarten in einer windgeschützten Bucht auf Brommö

Während ich mich weiterkämpfe – der Wind kommt nun von der Seite – muss ich ständig auf Untiefen achten. Man sieht, wo die Wellen sich aufsteilen und der See zu kochen scheint. Was ich auf den Satellitenbilder für mögliche Rast- oder Rettungsplätze gehalten hatte, sind gefährliche Felsen die mit jeder Welle vom Wasser überspült werden. Die vermeintlichen Inseln nur schäumende See. Als ich den äußersten Zipfel der letzten kleinen Insel vor Brommö erreicht habe, halte ich inne. Wellen und Wind stehen mir entgegen, würden mich zurück treiben. Mit diesem Gedanken will ich ein Stück weit in den See fahren.

Nach einem Kilometer werden die Wellen noch höher. Mir ist mulmig zumute. Bei solchen Wellen war ich noch nie unterwegs. Dabei sind sie nicht langgezogen, sondern kurz und steil. Noch sieben Kilometer! Je weiter ich komme, um so schlimmer wird es. Immer wieder klatscht das Kajak vom Wellenberg laut ins Wasser. Die Wellen kommen nun von verschiedenen Richtungen. Schaum steht auf den Kämmen und an den Wegmarken am Horizont sehe ich, dass ich nur langsam voran komme. Ich fühle mich einsam, unendlich einsam. Noch nie habe ich solche Wellen erlebt, war so weit draußen und das auch noch alleine. Ich versuche nicht viel zu denken, nur konzentriert zu paddeln und mich zu orientieren.

Ein unendlicher Kilometer nach Djurö

Quälend langsam komme ich voran aber ich komme voran. Als ich noch etwa einen Kilometer entfernt bin, hoffe ich , dass der Wind und die Wellen im Schatten der Inseln schwächer werden. Für die Wellen stimmt das sogar aber der Wind bläst immer stärker von vorne. Ich mobilisiere noch einmal meine Kräfte, um endlich in den Schutz der Inseln zu kommen. Am Schluss brauche ich 3 Stunden für eine Überfahrt von 8 Kilometern und habe dabei keinen einzigen Paddelschlag ausgelassen!

Einige kleine Inseln des Djurö Nationalpark vom Kajak aus gesehen.
Endlich im Windschatten des Djurö Nationalpark

Vollgepumpt mit Adrenalin aber ausgepumpt von den Kräften suche ich mir einen Rastplatz. Ich bin noch nicht am Ziel. Noch muss ich um die Inseln herum und noch einmal in den Wind. Im Djurö Nationalpark darf man auf der Hauptinsel bis auf einen ausgenommenen Bereich zelten. Auf der Karte ist ein Platz am Bootssteg auf der Westseite eingetragen. Ich raffe mich wieder auf, gehe die letzten Kilometer an. Mit Seitenwind fahre ich schließlich in die Bucht von Malbergshamn.

Der Zeltplatz, den es nicht gibt

Vom Boot aus kann ich keinen Zeltplatz entdecken. Also lande ich an und mache mich zu Fuß auf die Suche. Dort wo der Platz in der Karte eingezeichnet ist, ist nur ein moosbewachsener Sumpf, der direkt hinter den Trockentoiletten liegt. Leider scheint es Zeitgenossen zu geben, die auf solche Angebote im wahrsten Sinne des Wortes schei*** und lieber den Sumpf aufsuchen. Hier kann man nicht zelten und auch sonst finde ich keine geeignete Stelle! Zur körperlichen Erschöpfung nach fast 26km Paddeln unter diesen Bedingungen kommt nun, dass ich nach einer Stunde suchen immer noch keinen Platz für mein Zelt habe. Also fahre ich die Bucht wieder zurück und versuche gegenüber dem Leuchtturm mein Glück. Zumindest finde ich hier eine halbwegs geeignete Stelle und befestige mit Steinen und Stöcken mein Zelt in einer Felsmulde.

Das Desaster droht

Vor lauter Kampf und Krampf hatte ich bisher keine Möglichkeiten, Bilder zu machen. Die Tour droht zum Desaster zu werden! Zwei Stunden bleiben mir heute etwa noch zum Fotografieren. Quer durch den Wald kämpfe ich mich wieder zu den Schautafeln beim Anlegesteg. Von hier starten die Wanderwege.

Wandern im Djurö Nationalpark

Ich nehme mir vor, mich heute nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Weder durch nicht vorhandene Zeltplätze, Erschöpfung oder die Erkenntnis, auf dem Wasser wegen den Bedingungen keine Bilder und Videos machen zu können, noch durch die Moskitos, für die ich mich nicht eingeschmiert haben.

Wirklich schön ist die Insel! Ein wunderbarer Kiefernwald. Dann eine Lichtung mit riesigen Eichen. Hier könnte man gut zelten! Und kurze Zeit später wieder ein Lichtung mit ein paar Häusern, aus einer Zeit, als die Insel noch für die Jagd einiger Reicher gedient hat. Die Dammhirsche, die dazu ausgesetzt wurden, laufen hier immer noch herum und scheinen nicht sonderlich scheu. Auf ca. 20 Meter kann ich mich ihnen nähern. Solch schöne Eindrücke heben meine Stimmung doch beträchtlich und ich schlage mich zurück zu meinem Zelt.

Eine Waldlichtung mit einem Baumstamm als Brück auf der Hauptinsel des Djurö Nationalpark
Lichtung auf der Hauptinsel Djurö

Schwere Entscheidung

Als ich in der Nacht einmal aufwache ist es windstill und ich hoffe auf eine ruhige Überfahrt. Auch noch am Morgen weht lediglich ein laues Lüftchen. Ich vergewissere mich auf meiner App über die neuesten Prognosen und erschrecke! Wind mindestens wie gestern aber nun von der anderen Seite. Gegen Nachmittag Gewitter. Für die nächsten Tage auch keine Besserung in Sicht. Da hilft auch kein Aussitzen. Keine weiteren Fotos, kein Verweilen mehr! Ich breche schnell auf, will die noch ruhigen Bedingungen nutzen.

Als ich die Inseln umrundet habe, herrschen bereits Bedingungen wie gestern. Ich überlege nicht lange und paddel drauf los. Da plötzlich ein Donnerschlag hinter mir. Weit entfernt aber dennoch beunruhigend. Mit dem nächsten Donnerschlag will ich umdrehen und bleiben. Aber es folgt keiner mehr. Wieder kocht die See und die Wellen aus unterschiedlichen Richtungen überlagern sich. Ich fühle mich wie in einer Waschtrommel, bin ständig am Gegensteuern. Wieder brauche ich 3 Stunden für die „läppischen“ 8 Kilometer.

Der Djurö Nationalpark gibt mich wieder frei

Und da liege ich nun. Entkräftet, mit Blutblasen an den Händen. Froh es geschafft zu haben. Ich futtere ein Gummibärchen nach dem anderen, trinke 2 große Flaschen leer. 2 Kinder kommen und bestaunen mich, trauen sich aber keine Gummibärchen anzunehmen. Wenig später folgt die Mutter. Sie sind wohl mit einem Segelboot auf der Insel und sie kennt sich aus. Weiß, dass ich zweimal gegen den Wind musste und erklärt mich zu einem sehr erfahrenen Kanuten, dass ich mich über diesen See traue. Ich schweige lieber. Dann bin ich wieder alleine.

Es ist noch nicht vorbei

Und die Zeit brauche ich auch, um wieder Kräfte zu schöpfen. Aber irgendwann muss ich doch los. In der Ferne sind nun Blitze zu sehen und ich zähle die Sekunden. Noch gut 10km entfernt. Während ich mich am Ufer halte und ständig nach Anlandeplätzen Ausschau halte, komme ich das erste Mal gut voran. Wind und Wellen kommen nun von schräg hinten. Und dann ist das Gewitter innerhalb kürzester Zeit auf 3 Kilometer heran. Ich habe nur noch eineinhalb Kilometer bis zum Auto aber jetzt muss ich raus! Ein Bootssteg bei einem schönen Häuschen. Ich lasse das Kajak daneben in den Sand laufen und steige aus.

Auf den Hund gekommen

Kurze Zeit später kommt ein freundlicher Mann zu mir. Die Verständigung ist nicht ganz leicht aber ich verstehe, dass sie einen großen Hund haben, friedlich aber groß. Ich sage, das macht mir nichts aus und er nimmt mich mit zum Haus. Auf der regengeschützten Veranda kann ich mich setzen und der schmusebedürftige, nasse Riesenhund versieht mich von oben bis unten mit einem neuen Pelz. Inzwischen ist auch die liebenswerte Hausherrin heraus gekommen und übt, nachdem sie lange gar nicht versteht, dass ich aus dem Djurö Nationalpark komme mit mir die richtige Aussprache von „Djurö“. Voll mit Hundehaaren bin ich dann aber doch froh, als sich nach einer halben Stunde das Gewitter verzogen hat und ich die letzten Meter zum Auto paddeln kann. Was für ein Abenteuer. Aber noch einmal will ich es auch nicht erleben!

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